Nach einer ausführlichen Stadtführung und dem Besuch der Gemäldegalerie gibt es heute noch einen letzten Sightseeing-Tipp für Braunschweig: Das Kloster St. Ägidien mit dem Jüdischen Museum. Das Kloster mit Museum ist eher ein Geheimtipp, nicht viele Touristen finden den Weg dorthin. Der Klosterhof ist eine ruhige Oase inmitten der trubeligen Innenstadt. Eine kurze Reise in die Vergangenheit erwartete mich dort und ein einzigartiger Mix der Religionen. Das Museum befindet sich zum Teil in den Räumlichkeiten des katholischen Klosters, zum Teil in einem ehemaligen evangelischen Vereinshaus und es beinhaltet ein jüdisches Museum mit einer Barock-Synagoge. Sicher bin ich zwar nicht, ich glaube aber, dass so etwas einmalig in Deutschland ist.

 

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Innenhof des Klosters St. Ägidien

 

GESCHICHTE DES KLOSTERS ST. ÄGIDIEN

Gegründet wurde das Kloster 1115, es ist eine von drei Klostergründungen der Brunonen, der letzten Brunonischen Gräfin. Die Brunonen waren ein sächsisches Adelsgeschlecht des frühen Mittelalter. Das romanische Klostergebäude ist das älteste Gebäude Braunschweigs. Die archäologischen Funde lassen vermuten, dass das St. Ägidien Kloster im Mittelalter zu den bedeutendsten Klostern Deutschlands gehörte.

Der gotische Chor gehört nicht ganz dazu, zumindest früher nicht. Der Chor stammt vom ehemaligen Dominikanerkloster. Als das neue Rathaus Ende des 19. Jahrhundert erbaut wurde, musste das Kloster weichen. Die Gebäudeteile wurden Stein für Stein abgebaut und versetzt. Unglaublich, oder?

Im 18. Jahrhundert befand sich ein Gefängnis in den Klostermauern. Das kann man noch an einigen Inschriften sehen. Schon damals hatten einige Gefangene das Bedürfnis, sich auf den Wänden zu verewigen. Im 19. Jahrundert wurde das Kloster als Museum umgebaut. Die mittelalterlich aussehenden Malereien sind historistisch. Denn die Menschen haben bei den Renovierungsarbeiten ihre Vorstellung vom Mittelalter umgesetzt.

Die Figuren und Skulpturen im Klostergarten stammen aus Salzdahlum, dem Lustschloss von Herzog Anton Ulrich. Warum vom Schloss Salzdahlum nichts mehr übrig ist, habe ich in meinem letzten Post über das Herzog Anton Ulrich Museum geschrieben.

 

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Einträge der Gefängnisinsassen

 

 

WAS KANN MAN IM KLOSTERMUSEUM SEHEN?

Wie der Name schon sagt, bietet das St. Ägidienkloster ein Klostermuseum. Hier dreht sich alles ums Klosterleben der letzten Jahrhunderte. Das mag langweilig klingen, ist es aber nicht. Die Führung durch Frau Dr. Pöppelmann war kurzweilig und interessant. Ich habe viele skurrile und ungewöhnliche Sachen erfahren. Zwei Beispiele möchte ich kurz schildern.

Mitra des Abtes

Interessant fand ich den Grabfund einer mittelalterlichen Mitra, einer Bischofsmütze. In ganz Europa sind nur noch 102 Mitren aus dem Mittelalter erhalten. Aber was hat die Mitra in einem Grab eines Abtes zu suchen? Normalerweise darf nur ein Bischof sie tragen? Erfahren habe ich, dass dass im Mittelalter gern ein Interdict, eine Art Kirchenbann ausgesprochen wurde. Das Interdict war milder als eine Exkommunikation, für die betroffenen jedoch eine Strafe. Die „Gebannten“, manchmal Städte oder ganze Länder, durften keine Liturgischen Handlungen durchführen. Daher wurde ein Abt benannt, der das Recht dazu bekam. Dabei durfte er die Mitra tragen.

Reliquien-Kästchen

Die Skurrilität von Reliquien finde ich immer wieder faszinierend. Reger Handel wurde früher mit Reliquien von Heiligen getrieben, denn Kirchen oder auch wohlhabende Menschen hatten das Bedürfnis, ein Kleidungsstück, ein Knochenfragment, eine Haarsträhne oder einen persönlichen Gegenstand von Heiligen zu besitzen. Diese Teile wurden angebetet, verehrt, ihnen wurden heilende Kräfte zugesprochen. In St. Ägidien kann man ein vollständiges Reliquien-Kästchen sehen, im Innern eine Sammlung verschiedener Reliquien. Ein dazugehöriger beschrifteter Pergamentstreifen nennt den Namen des Heiligen und bestätigt die Echtheit der Reliquie. Sogar Gegenstände von Jesus und Maria sind dabei. Immer wenn ich über Reliquien schreibe, muss ich an eine Passage aus dem Buch „Baudolino“ von Umberto Eco, einem meiner Lieblingsschriftsteller denken. Dieser erwähnt dort, dass Johannes der Täufer ein ganz besonderer Mensch mit sieben Köpfen war. So viele Reliquien sind von ihm erhalten.

 

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Vollständig erhaltenes Reliquien-Kästchen

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Romanischer Innenraum, historistisch renoviert

 

 

EIN JÜDISCHES MUSEUM IM KLOSTER?

Die Sammlung des jüdischen Museums in Braunschweig gehört zu den bedeutendsten in Deutschland. Einmalig ist jedoch die vollständig erhaltene Einrichtung einer Synagoge aus der Barockzeit. Es gibt nur wenige Synagogeneinrichtungen, die die Nazi-Zeit überdauert haben. Diese hier war in der Ägidienkirche als ein Beispiel für einen „Fremdkörper“ nach Christlichem Vorbild dargestelt. Nur dieser Tatsache verdankt die Einrichtung ihren Erhalt.

 

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Inneneinrichtung einer Barock-Synagoge

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Juden haben lange in Braunschweig gelebt. Schon im Mittelalter gab es in der Stadt eine jüdische Siedlung, doch während der Reformationszeit, 1546 wurden die Juden aus Braunschweig vertrieben. Erst 1707 siedelten sie sich wieder in der Stadt an. Der „Hofjude“ der Welfen, Alexander David gehörte zu den ersten. Hofjuden waren die Bankiers der Adeligen, denn das prunkvolle Leben musste finanziert werden. Falls Euch das Leben eines Juden am absolutistischen Hof interessiert, empfehle ich das Buch „Jud Süß“ von Lion Feuchtwanger. Es ist keine leichte Lektüre, dennoch hat mich das Buch berührt und gefesselt. Der Braunschweiger Alexander David hat seine Judaica-Sammlung öffentlich gemacht und somit das erste Jüdische Museum Deutschlands gegründet.

 

FAZIT

Für mich war der Klosterbesuch sehr interessant, hauptsächlich durch die kurzweilige und informative Führung. Falls Ihr keine Führung machen möchtet, es gibt im Museum auch die Möglichkeit, einen Audioguide auszuleihen. Muss man aber nicht, denn alle Exponate sind ausführlich beschriftet. Ein Besuch lohnt sich, für jeden, der sich zumindest ein wenig für Geschichte interessiert.

 

Auf die Reise nach Braunschweig wurde ich vom Stadtmarketing Braunschweig eingeladen. Für die tolle Führung möchte ich mich bei Frau Dr. Pöppelmann bedanken!

Erstellt am November 10, 2016

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19 Antworten zu “Kloster St. Ägidien und jüdisches Museum – Geheimtipp für Braunschweig”

  1. Anette sagt:

    Interessant, ich habe Baudolino zwar gelesen, musste aber an der Name der Rose denken, denn da erzählt William an einer Stelle verschmitzt von der Reliquie „Schädel des heiligen *habichvergessen* im Alter von 8 Jahren*. :-)))

  2. wir-testen sagt:

    Braunschweig ist ja wirklich eine Reise wert. Hätte ich nicht gedacht. Sehr schöne und interessante Eindrücke.
    Viele Grüße

  3. Katharina sagt:

    Oh, das sind wunderschöne Eindrücke. Da möchte ich auch unbedingt hin. Einige Kilometer von uns entfernt, gibt es eine wunderschöne Klosterkirche. Die fasziniert mich jedes mal, egal wie oft ich dort bin.
    Hab eine tolle Woche.

    Ganz liebe Grüße,
    Katharina von blogundbeauty.blogspot.de

    • Burgdame sagt:

      Ich fühle mich auch von alten Kirchen, Klöstern oder Gebäuden total angezogen. Die haben immer etwas erhabenes und sind auch immer ein wenig geheimnisvoll.
      Wünsche Dir auch eine schöne Woche!

  4. Liebe Eva,
    vielen Dank für deine drei so wundervollen Berichte über Braunschweig und das Herzog Anton Ulrich-Museum.

    Wenn du das nächste Mal mit deinem Mann nach Braunschweig kommst, melde dich gerne – es gibt noch so viel zu zeigen, was dich interessieren könnte 🙂

    Viele Grüße aus der Löwenstadt vom Stadtmarketing-Team

  5. Julia sagt:

    Sehr schöner und ausführlicher Bericht 🙂
    Die Bilder shene aber shcon ein bisschen mystisch aus, zumindest die von draußen.
    Ich finde es echt interessant: erst Kloster, dann die Versetzung der Steine (wer macht heutzutage noch sowas…???), dann Gefängnis und jetzt Museum.

    Liebe Grüße,
    Julia

  6. Ich weiß ja nicht, ob ich jemals nach Braunschweig komme – im Moment ist eher noch die „große weite Welt“ interessant – aber wenn, dann steht dieses Museum definitiv auf meiner Liste, denn ich liebe solche Geheimtipps! Aber auch deine vorangegangenen Braunschweig-Posts zeigen, dass diese Stadt einen Besuch wert wäre.
    Herzliche rostrosige Nach-Urlaubs-Grüße,
    Traude
    https://rostrose.blogspot.co.at/2016/11/anl-11-sinnvolle-weihnachtsgeschenke.html

    • Burgdame sagt:

      Die Sehnsucht nach der großen weiten Welt habe ich natürlich auch, keine Frage, aber mehr als zwei lange Reisen pro Jahr sind dann doch nicht drin, sowohl kohle- als auch urlaubsmäßig. Um die Zeit dazwischen zu überbrücken (und den Fernweh ein wenig zu besänftigen) sind Wochenendtrips perfekt. Aber Deine Anreise aus Österreich ist wirklich weit, das stimmt.

  7. Priscilla sagt:

    Klingt super spannend, finde es immer interessant die Geschichte hinter solchen Gebäuden kennen zu lernen.

    Liebe Grüsse

    Priscilla

    BEAUTYNATURE

  8. LoveT. sagt:

    Wie wunderschön! Der Ausflug dorthin hätte mir auch gefallen 🙂

    Liebe Grüße!

  9. Burgdame sagt:

    Wäre auch bestimmt eine tolle Outfit-Kulisse.

  10. […] untergebracht, ebenso wie eine Ausstellung zur wechselvollen Geschichte des Klosters. Dieser Beitrag der Reisebloggerin Burgdame liefert einen Einblick in die […]

  11. Ulrich A. sagt:

    Die Brunonen war keine Gräfin, wie es der erste Satz vermuten lässt, sondern ein Grafengeschlecht. Die letzte brunonische Gräfin war Gertrud.

    Die nach Hinter Ägidien versetzte Klosterapsis war die des Paulinerklosters, nicht des Dominikanerklosters. Es stand an der Stelle der ehem. Bezirksregierung (Nord/LB) zwischen Bohlweg und Casparistraße.

    • Burgdame sagt:

      Vielen Dank für die vielen Hinweise. Dass die Brunonen ein Grafengeschlecht ist, habe ich im nachfolgenden Satz erwähnt.
      Das Dominikanerkloster und das Paulinenkloster sind dieselben, hier ein Auszug aus der Erklärung, die ich auf der Webseite der Dominikaner gefunden habe:
      „Paulus war für die Dominikaner ein bevorzugter Patron, man nannte die Predigerbrüder deshalb auch „Pauliner“ und das Braunschweiger Dominikanerkloster wird in der Regel als „Paulinerkloster“ bezeichnet.“

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