Obwohl Baltasar Gracián einer der bedeutendsten spanischen Autoren der klassischen spanischen Literatur war, dürfte er euch wahrscheinlich nicht bekannt sein. Das liegt wohl auch daran, dass sein Hauptwerk: „Das Kritikon“, welches 1651 bis 1657 in drei Bänden veröffentlicht wurde, erst 2001 vollständig ins deutsche Übersetzt wurde. Über dieses Buch will ich euch etwas mehr erzählen.
Um das Buch richtig einschätzen zu können, müsst ihr erst etwas mehr über Autor wissen. Baltasar Gracián wurde 1601 geboren und war ein Mitglied des Jesuitenordens. Er wahr ein wichtiger Moraltheologe und ein Vorläufer der europäischen Aufklärung. Also bespreche ich hier ein über 350 Jahre altes Buch aus dem barocken Spanien, welches mehr einen belehrenden als einen unterhaltenden Anspruch hat.
Die Handlung ist vordergründig die Reise zweier Männer durch die Länder Zentraleuropas. Critilo trifft nach eine Schiffbruch auf einer einsamen Insel den den jüngeren Andrenio. Nach deren Rettung stellen sie fest, dass Critilo der Vater von Andrenio ist und sie machen sich gemeinsam auf die Suche nach Andrenios Mutter. Bei ihrer Reise durch Spanien, Frankreich, Deutschland und Italien, treffen sie auf allerlei skurrile und historische Gestalten und Abenteuer. Meist werden die Zwei von verschiedenen Führen durch Widrigkeiten ihres Wegs geleitet.
Insofern ist das Buch ein literarischer Road-Movie. Aber wie bei einem Road-Movie ist die Beschreibung der Reisestationen nicht der eigentliche Inhalt der Geschichte. Die Reise ist in diesem Fall eine Metapher des Lebenswegs eines Mannes von der Geburt bis zum Tod und eine Satire auf die Gesellschaft Spaniens im 17. Jahrhundert. Fast alle in dem Roman vorkommenden Personen und Orte sind Allegorien und Metaphern des Glücks, Verstands, Ehre usw…. Selbst Critilo und Andrenio sind Allegorien. So ist Critilo der reflektierte Verstand und Andrenio der naive Impuls ein und des selben Mannes. Auch die Mutter stellt sich später als eine Metapher auf das vollkommene (unerreichbare) Glück heraus. Und die beiden Helden werden sie nie finden. Das alles erinnert sehr an Dantes „Göttliche Komödie“, oder an Bilder von Hieronymus Bosch.
Hieronymus Bosch (etwa 1450–1516) [Public domain], via Wikimedia Commons |
Bei allem ist das Buch aber auch sehr humorvoll und man ist überrascht wie wenig sich die Gesellschaft in den letzten 400 Jahren geändert hat. Viele Dinge kommen einem doch erstaunlich bekannt vor.
Das Buch ist mit 1000 Seiten ein richtiger Wälzer. Fast ein Drittel des Textes sind allerdings Kommentare und Anmerkungen. Neben den Metaphern und Allegorien, die heutige deutsche Leser schwer entschlüsseln können, stellt Gracián viele Bezüge zur spanischen und europäischen Geschichte und vielen theologischen und philosophische Schriften her. Und er liebt Wortspiele. Daher sind die umfangreichen Kommentare wichtig um dem Buch folgen zu können. Dies ist wohl auch der Grund warum es so lang unübersetzt blieb. Die vorliegende Übersetzung ist sehr gut und schafft es den barocken Ton der Geschichte beizubehalten und trotzdem eingängig lesbar zu sein. Ich fand das Buch sehr interessant zu lesen, obwohl es teilweise etwas anstrengend war.
Es ist sicher nicht für jeden etwas. Aber wer sich für die barocke spanische Gedankenwelt und Gesellschaft oder Moralphilosophien interessiert, wird hier sicher fündig. Wer lieber etwas leichtes liest, dem empfehle ich die modernen Alatriste Romane von Arturo Pérez-Reverte, die auch in Spanien des 17. Jahrhunderts spielen oder den Klassiker Don Quichote von Cervantes.
Gero
Hat das Gero geschrieben? Bloggt ihr zusammen? Toll!!!! 🙂