Die traurige und tragische Geschichte der Grete Minde berührt wohl jeden, der die Erzählung von Theodor Fontane liest. Die Patriziertochter wird beschuldigt, Tangermünde in Brand gesteckt zu haben. Die Novelle trägt den Beisatz “Nach einer Altmärkischen Chronik”, daher wollte ich mehr über Grete und ihre wahre Geschichte erfahren. Die Novelle von Theodor Fontane löste bei mir viele widersprüchliche Gefühle aus. Da ich das Buch kurz vor meiner Reise in die Altmark gelesen habe, habe ich die Schauplätze des Buches besucht. Daher nehme ich Euch heute mit auf eine Reise mit Fontane durch die Altmark, auf den Spuren der “gefallenen” Grete.
Wie der Titel von Fontanes Buch vermuten lässt, beruht die Geschichte von Grete weitgehend auf Tatsachen. Grete hieß allerdings Margarete von Minden und war eine wohlhabende Patriziertochter, die jedoch völlig verarmte. Über ihre Eltern ist wenig bekannt, ihr Vater wurde wegen angeblichen Totschlags aus Tangermünde vertrieben. Da ihre Mutter unbekannt war, galt Margarethe als uneheliches Kind und erbte nichts vom Vermögen des Vaters. Sie soll sich betrogen gefühlt haben und ihr Leben lang um ihr Erbe gekämpft haben.
Margarete heiratet den Landstreicher Tönnies und lebt von Kräuterkunde und Wahrsagerei. Als sie von ihrem Ehemann verlassen wird und allein für ihr Kind sorgen muss, kehrt sie als Bittstellerin nach Tangermünde zu ihrem Onkel zurück. Doch sie erreicht nicht, sondern wird nur wegen Hausierens aus der Stadt verwiesen.
Margarete soll daraufhin zu ihrem Ehemann zurückgekehrt sein und mit ihm und seinen Gefährten obdachlos und bettelnd durch die Altmark gezogen sein. Als 1617 in Tangermünde ein Großbrand ausbrach, befand sich die Gruppe in der Stadt. Margarethe wurde der Brandstiftung angeklagt, verurteilt und gehängt. Heute gilt Margarethe jedoch als unschuldig, sie war nur das Opfer einer Intrige und Verleumdung. Vor ihrer Verurteilung wurde sie grausam gefoltert, die Folterungen sind bis heute ausführlich dokumentiert.
Fontane war Journalist. Für seine Bücher und Erzählungen dienten ihm oft tatsächlich stattgefundene Ereignisse und lebende Personen als Vorlage. Auch die Novelle um Grete Minde beruht auf einer wahren Begebenheit. Fontanes Grete Minde unterscheidet sich jedoch von der echten Margarete. Über Margarete weiß man allerdings nur sehr wenig, ihre Herkunft und ihr Lebensweg sind nur bruchstückhaft bekannt. Daher hat Fontane eine eigene Geschichte gesponnen.
Das Buch von Fontane besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil ist Grete noch ein Teenager, sie lebt bei ihrem geliebten Vater und ihrer wenig geliebten Verwandtschaft und sie flirtet mit dem Nachbarssohn Valtin. Grete ist ein beliebtes und verwöhntes Mädchen, nur mit der Schwägerin Trud versteht sie sich gar nicht. Das angespannte Verhältnis eskaliert nach dem Tod des Vaters und Grete überredet Valtin zur gemeinsamen Flucht.
Der zweite Teil der Novelle spielt drei Jahre später. Grete, Valtin und deren Kind haben sich einer Schauspieltruppe angeschlossen und ziehen halb spielend, halb bettelnd durch die Ortschaften. Sowohl Grete als auch Valtin sind desillusioniert, verwahrlost und vom Leben enttäuscht. Die Liebe ist ihnen abhanden gekommen, Grete muss sich eingestehen, dass sie Valtin nie geliebt hat. Es gibt Andeutungen, dass es einen Adligen gab und ob das Kind von Valtin ist, bleibt unklar. Hinzu kommt, dass Valtin sehr krank ist und im Kloster Arendsee stirbt. Vor seinem Tod bittet Valtin Grete, zu ihrer Familie zurückzukehren, damit wenigstens das Kind versorgt sein. Im Kloster bittet Grete die Klostervorsteherin um einen Begräbnisplatz für Valtin. Die betagte Domina sagt voraus, dass Grete innerhalb der nächsten drei Tagen sterben wird.
Die stolze Grete kehrt nach Tangermünde zurück, obwohl es ihr sehr schwer fällt. Sie bittet ihren Bruder um ihren Anteil am Erbe und als er ablehnt, bittet sie ihn, bei ihm als Magd arbeiten zu dürfen. Aber auch das lehnt der Bruder ab. Wütend und verletzt wendet sich Grete an den Stadtrat, denn schließlich war ihr Vater einmal Mitglied und sie ist dort gut bekannt. Doch auch der Stadtrat lehnte ihre Anfrage ab.
Die gedemütigte und zornige Grete zündet Tangermünde an. Zuvor lockt sie ihren Neffen aus dem Haus und verschanzt sich mit ihrem Kind und dem Neffen in einem brennenden Kirchturm. Der Kirchturm stürzt ein und alle sterben.
Die gesamte Novelle „Grete Minde“ spielt in der Altmark. Gretes Jugend spielt sich nur in Tangermünde ab. Der zweite Teil spielt in Arendsee, vor allem im Kloster Arendsee.
Ein Besuch in Tangermünde ist eine Zeitreise. Die Kleinstadt besitzt einen weitgehend erhaltenen Stadtkern aus dem Mittelalter/der Renaissance. Die vielen Fachwerkhäuser und Kaufmannsvillen sind sehr schmuck. Tangermünde ist eine bezaubernde Stadt, nicht ohne Grund wurde sie 2019 zur schönsten Kleinstadt Deutschlands gewählt. Direkt vor dem prächtigen Renaissance-Rathaus steht sich eine Bronzeskulptur der Grete Minde. In zerlumpten Kleidern und in Ketten steht sie stolz da, doch mit traurigem Blick. Als ich durch Tangermünde spaziert bin, konnte ich mir sofort vorstellen, dass hier einst sehr wohlhabende Menschen gelebt haben.
Der zweite Teil des Buches beginnt in Arendsee, etwa 60 Kilometer von Tangermünde entfernt. Hier macht die Theatergruppe, der sich Grete und Valtin angeschlossen haben, halt. Hier stirbt Valtin und Grete sucht die Domina des Klosters auf, um sein Begräbnis zu erbitten. Valtin wird auf dem Friedhof des Klosters Arendsee bestattet. Die alte Klostervorsteherin hat das Unglück vorausgesehen und prophezeit Gretes Tod in drei Tagen.
Fontane muss ein unglaublich guter Beobachter gewesen sein. Seine Charaktere sind so facettenreich dargestellt, dass ihre Gefühle und Beweggründe greifbar sind. So auch Grete, die als 15-jähriges Mädchen von zu Hause wegläuft. Grete wächst in einem wohlhabenden und behüteten Elternhaus auf. Sie kennt das Leben nicht, sie kennt die Schule, die Kirche und die Nachbarschaft. Durch die Aufmerksamkeit und Zuneigung von Valtin fühlt sie sich gut, sie vertraut Valtin und verwechselt das vielleicht mit der Liebe. Alles erscheint ihr besser, als weiter bei der ungeliebten Schwägerin zu leben. Grete trifft ihre Entscheidungen aus Trotz und Stolz. Sie instrumentalisiert Valtin, der zunächst große Zweifel hat. Doch beide sind zu unerfahren, zu leichtsinnig.
Drei Jahre später holt sie die Realität ein. Die Kinder aus wohlhabenden Häusern leben obdachlos und völlig verarmt auf der Straße. Doch Grete ist immer noch zu stolz, um nach Hause zurückzukehren. Sie tut es nur, weil Valtin sie kurz vor seinem Tod darum bittet. Und erneut kämpft sie gegen ihren Stolz an und betont es immer wieder, dass ihr ein Anteil des Erbes zusteht. Die Motive für Gretes Entscheidungen sind greifbar. Sie handelt aus Rache, aus Stolz, aus Trotz. Ihre Beweggründe sind egoistisch und dennoch nachvollziehbar. Ich war überrascht, dass ich für Grete Sympathie empfinden konnte. Sie ist eine Antiheldin, die nicht nur ihren Geliebten mit in den Abgrund reißt, sondern sich an der ganzen Stadt rächt.
Diese Ambivalenz entsteht durch Fontanes Sittenbild. Denn Gretes Handeln hat eine gesellschaftliche Ursache. Gretes verstorbene Mutter war Katholikin, was für die damaligen Protestanten als abergläubisch galt. Ihr Bruder und vor allem ihre Schwägerin ließen Grete das immer wieder spüren. Die Schwägerin Trud stammte aus einfachen Verhältnissen, sowohl ihr Ehemann als auch die Nachbarschaft zeigten ihr wenig Respekt. Ihren Frust über die immer noch deutlichen Standesunterschiede bekommt Grete zu spüren. Außerdem ist Trud eifersüchtig auf Valtins Liebe, denn ihr Ehemann liebt sie offensichtlich nicht mehr. Gretes Halbbruder dagegen ist nur auf Geld aus, er ist geizig und habsüchtig. Die jüngere Schwester steht zwischen ihm und der Erbschaft. Selbst nach Gretes Rückkehr nach Tangermünde lügt der Bruder vor dem Stadtrat, nur um nicht sein Erbe teilen zu müssen.
Auch die Unmündigkeit der Frauen spielte eine Rolle, denn Grete war von der Gunst ihrer Verwandtschaft abhängig. Ihr Bruder entschied über ihr Erbe und ihre Zukunft und dass er ihr nicht wohlgesonnen war, bekam Grete immer wieder zu spüren. Sowohl Grete im Buch als auch die wahre Margarethe mussten sterben, weil der Ruf und das Erbe einer Familie bedroht waren.
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