„Es war eine dunkle und stürmische Nacht, der Regen fiel in Strömen und ließ nur dann von Zeit zu Zeit nach, wenn er von einem heftigen Windstoß unterbrochen wurde, der durch die Straßen heulte, in den Giebeln sauste und übermüthig mit den kümmerlichen Flämmchen der Lampe spielte, welche gegen die Finsternis ankämpften. …“
Der erste Satz aus dem Buch „Paul Clifford“ von Edward Bulwer-Lytton hat gewisse Berühmtheit erlangt. Snoopy, der Hund aus der Zeichentrickfilmserie „Die Peanuts“, plante immer wieder ein Buch zu schreiben und es mit diesem Satz zu beginnen. Seit 1982 bekam Bulwer Lytton und sein Buch etwas ungewöhnliche Popularität. Da gründete die San José Universität den „Bulwer-Lytton Fiction Contest“, einen Wettbewerb, in dem der schmechtestmögliche erste Satz eines Romans gesucht wird. Heute ist das etwas trauriger Ruhm. Zu Bulwer-Lyttons Lebzeiten, als die Gothic Novel (der viktorianische Schauerroman) zu den beliebtesten Genres gehörte, galt der Satzanfang als sehr stimmungsvoll. Es war damals „in“, besonders viele extravagante oder blumige Adjektive oder Metaphern zu nutzen.
Edward George Bulwer-Lytton, 1. Baron Lytton (1803-1873) war nicht nur Romancier und Baron, sondern auch Politiker. Er studierte in Cambridge und auch in Deutschland, in Bonn. Er war Mitglied des britischen Unterhauses und Kolonialminister. Von seinen literarischen Werken ist heute nur noch der Roman bzw. die Romanverfilmung „Die letzten Tage von Pompeji“ bekannt. Doch sein Werk umfasst fast 30 Bücher. Das Buch „Das kommende Geschlecht“, einer der ersten Sci-Fi-Romane über eine unterirdische Gesellschaft, erlangte in der Nazi-Zeit große Popularität. Das Buch diente als Vorbild für die Vril-Gesellschaft und wurde aus rassistischer Sicht interpretiert.
So reißerisch, wie der erste Satz ist das ganze Buch und auch Pauls Leben. Seine Mutter, eine mittellose Dame stirbt, als Paul noch sehr klein ist und er wird in die Obhut einer Kneipenwirtin übergeben. Diese kümmert sich rührend um ihn und liebt ihn innig, fördert ihn daher auch, soweit es ihr möglich ist. Paul ist ein schlaues und wissbegieriges Kind, lernt viel und schnell. Er beginnt eine Karriere als Autor für eine Zeitung, doch durch den Einfluss einiger Freunde und viele Zufälle gerät er unschuldig ins Gefängnis. Dort beginnt seine kriminelle Laufbahn. Eigentlich ist Paul ein Guter, doch er hat den Wohlstand geschnuppert und die die skurrilen Zufälle führen ihn immer wieder zu seinen verbrecherischen Freunden zurück. Als dank seiner guten Erziehung und Bildung findet er Zugang zu den höchsten Adelskreisen und lernt seine große Liebe Lucy Brandon kennen. Lucy, die zwar aus einem alten aber verarmten Hause kommt, verliebt sich genau so innig in Paul, ohne dass sie etwas über sein Leben weiß. Als sie unerwartet an eine große Erbschaft kommt, wird sie plötzlich zur sehr begehrten Partie in Bath und soll Lord Mauleverer heiraten. Ob sie nun Paul wählt oder doch das bequeme Leben einer Lady, möchte ich hier nicht mehr verraten.
Paul hat sehr schnell meine volle Sympathie bekommen. Er ist ein Schurke, das ist klar. Aber er führt das Doppelleben der Superhelden, mal der berüchtigte Räuber Lovett, dann wiederum der vollendete Gentlemen Clifford. Er ist zwar nicht so heldenhaft wie Zorro oder Batman, da er stets seine eigenen Belange verfolgt. Doch er beraubt nur Wohlhabende, verletzt nie Menschen und sogar beim Überfall verhält er sich wie ein Gentleman. Auch lässt er seine Freunde nie im Stich, befreit sie sogar, obwohl ihm bei der Verhaftung der Galgen droht. Lord Mauleverer ist hier sein Gegenspieler, der gar nicht so ehrenhaft ist, wie es der erste Anschein erweckt. Und wie wir schon wissen, braucht jeder Held einen bösen Gegenspieler und muss die Dame aus seinen Fängen retten.
Das Buch war direkt nach der Erscheinung ein Renner, denn es ist unglaublich spannend. Es ist ein Pageturner! Die Wendungen und Zufälle sind zwar für meine Begriffe etwas zu häufig und zu unwahrscheinlich, doch gerade die machen den Reiz und die Spannung des Buches aus. Gegen Ende kommt noch eine Wendung, die ich schon relativ früh erahnt habe, die vergleichbar mit Star Wars „Ich bin Dein Vater, Luke“ ist, nur umgekehrt. Doch gerade diese Wendung gibt der Geschichte neuen Pep und einen Funken Hoffnung auf ein Happy-End.
Die Sprache ist altmodisch, das mag ich an Büchern aber sehr. Sowohl die ausschweifenden Beschreibungen als auch den etwas komplizierten Satzbau lese ich gerne. In meiner Ausgabe (kostenlose Version von Projekt Gutenberg) ist die Rechtschreibung etwas gewöhnungsbedürftig. Aber an Wörter wie „seyn“ (sein) oder „thun“ (tun), habe ich mich schnell gewöhnt.
Das Buch ist sehr gute Unterhaltung, das Lesen hat mir Spaß gemacht. Diesen Artikel schreibe ich unter anderem, weil ich es sehr schade finde, dass das Buch heute fast vergessen ist. Ich entdecke gerne angestaubte Werke, denn sie versetzen mich ein Stück in die Vergangenheit.
Mehr von Bulwer-Lytton auf meinem Blog: Zanoni, der mit okkulten Inhalten vollgespickte Roman um einen okkulten Rosenkreuzern.
Schreibe einen Kommentar